Freiburg, 24. April 2010, 8.00 Uhr
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Von oben gesehen, so meint man, müsste die Welt eine ziemlich bunte Sache sein. Stimmt nicht. Wenn man mit Google Earth Freiburg anfliegt, ist's recht eintönig - überwiegend Straßen und Hausdächer. Dort wo Google aufhört, beginnen die Farben: blühende Magnolien, Tulpen, Rhodendron. Wo die Farben sind, ist Leben: beispielsweise vor der Gaststätte Augustiner im Freiburger Osten, Ende April, am frühen Samstagmorgen. Setzte man mit seinem inneren Auge den Anflug von Google fort, sähe man wohl knapp 70 verschiedene Trikot- und Helm-Farbkombinationen - kunterbunte Flecken am erwachenden Samstagmorgen. Radler stehen nicht nur im Ruf, trinkfest zu sein, sondern zu allem Überfluss noch ihre Leidenschaft (das Radfahren!) in knalligen Farben auszuüben - man nimmt an, aus Gründen der besseren Sichtbarkeit.
Wir sind aber auch so nicht zu übersehen, wie wir uns kurz nach acht Uhr durch Freiburg Richtung Schönberg winden, von Ampel zu Ampel, zum Schrecken mancher Frühaufsteher in ihren PKWs. Der Weg führt nach Süden. Die Faust-Stadt Staufen bröckelt dank einer spektakulären Wärmebohrung vor sich hin, während die Straßen im Ort sich allmählich füllen. Die Autolawinen rollen in die Gegenrichtung zu den Einkaufszentren der Region; schon kurz hinter dem Münstertal wird es einsam - einsam und friedlich wie der Luftraum über Mitteleuropa nach isländischen Vulkanausbrüchen. Wir kämpfen mit ersten Schweißausbrüchen, die Sonne hält vom Start weg treu zu uns. In kleinen Gruppen stürmen wir nach oben, inmitten zu neuem Leben erweckter Wiesen und blühender Obstbäume. Ich gebe mein Bestes, den ersten Anstieg auf diesen 300 Kilometern, hoch zum Haldenhof, mit Haltung hinter mich zu bringen. Hautpartien werden unter den zurückgeschobenen Armlingen und den ausgezogenen Knielingen sichtbar - weiß wie die Schneefelder dieses harten Winters. Man könnte meinen, Intimbereiche würden zur Schau gestellt. Mit dem heutigen Tag wird sich auch das ändern.
Zum Glück laufen solche Bräunungsprozesse nebenher. Denn einmal den Rhein bei Bad Säckingen überquert, ist bald Schluss mit ästhetischen Erwägungen.
Die Hügel im Schweizer Jura haben einen gewissen Herdentrieb. Anstatt sich schön über die Fläche auszubreiten, sammeln sie sich alle auf knappem Raum. Ihre Spitzen quillen nach oben und der Radler ertüchtigt sich an kilometerlangen 15-Prozent-Steigungen. Jedenfalls dort, wo es zum Schweizer Belchen hochgeht. Da darf der Kopf schon mal etwas rot werden und der Fahrstil ebenso leiden wie der Fahrer selbst. Zum Ausgleich gibt's Spaghetti am Berghaus Ober-Bölchen - ich wüsste nicht, dass irgendwer die Gelegenheit ausgeschlagen hätte.
Wer Moutier erreicht hat, darf sich glücklich schätzen. Wohl zwanzig flach ansteigende Kilometer in der prallen Sonne liegen hinter ihm, Arme und Beine zeigen erste Spuren von Bräune. Fehlt noch der Anstieg nach Souboz. Die Kontrolle in diesem winzigen Ort hat das Zeug zur Legende. Eine Autowerkstatt und ihr netter Besitzer zeigen uns für ein paar Minuten eine Welt, in der die Uhren noch anders zu ticken scheinen. Hier oben hat der Mensch noch Zeit. Wunderbar.
Wunderbar auch die Gorges du Pichoux, die ich vor Jahren das erste Mal mit staunenden Augen befahren habe. Man möchte noch einmal verweilen und die schroffen Felswände, durch die die rasende Abfahrt führt, auf sich wirken lassen, aber ach! alles vergeht viel zu schnell: die Rast bei Bassecourt, die Auffahrt nach Bourrignon, und die allmähliche Rückkehr zum Rheintal. Rund 15 Mann sind in unserer Gruppe verblieben, und die 80 flachen Kilometer zurück ins Breisgau sind nur noch straffes Ausrollen im Gegenwind. Kurz vor Freiburg holt uns die Dunkelheit ein. Das darf sie gerne: für diesmal haben wir genug gesehen. Ich behaupte sogar, dass es reicht für die nächsten zwei Wochen.
Strecke |
307 km |
Höhendifferenz |
3295 Hm |
Fahrzeit |
11:16 h |
Schnitt |
27,2 km/h |
Gesamtzeit |
13:25 h |