Donnerstag, 28. August 2008
| Strecke |
Der klassische Schweizer taugt nicht zum Nomaden. Das wird einem klar, wenn man ihre Zeltplätze anschaut, die eher rudimentär begrünten Parkplätze sind für fest vertäute, mit zusätzlichem Dach versehene Wohnwagen. Ferienbunker: safety first.
Da ich noch Essensreste vom Abend übrig habe, die ich nun niedermache, habe ich es nach dem Packen nicht eilig mit einem Frühstück. Ich stelle mir vor, auf einer beschaulichen Caféterrasse am Bodenseeufer in die Sonne zu blinzeln, während mir Kaffeeduft um die Nase weht.
Das nächstliegende wäre, nach Lindau zu fahren und dort in den Zug zu steigen. Rad gefahren bin ich genug. Für eine vielstündige Zugfahrt ist das Wetter dann aber doch zu schön, also peile ich Konstanz an, über die Schweizer Bodenseeseite. Diese Route hat nicht allzu viele Tücken und mit meinen Franken müsste ich obendrein hinkommen ohne einen zusätzlichen Stopp am Geldautomaten.
Eine halbe Stunde später ist der Bodensee erreicht, die Suche nach einem Café kann beginnen. Wie so oft kann ich mich nicht entscheiden. Am Ende setze ich mich entnervt von meiner eigenen Unschlüssigkeit in ein Straßencafé ohne jeden Blick auf den See. Kaffee und Gebäck sind aber ordentlich.
In Rorschach findet ein sehr beeindruckendes Sandskulpturenfestival statt, das zehnte seiner Art. Man kann nicht anders als anhalten und staunen, auf welch meisterhafte Art die Phantasie hier ihren Ausdruck findet.
Ich bin überrascht, wie viel Radelvolk sich am Bodensee tummelt und zufrieden, inmitten der Scharen unterzutauchen. Kein Lärm, kein Gestank, keine Agressionen. So wünschte ich mir die Alpenpässe. Irgendwann schere ich aus dem Strom aus für ein Bad im See, ziehe Trikot und Socken aus und werfe mich in die Fluten. Das Wasser ist warm und die Schwerelosigkeit nach über zehntausend Höhenmetern geradezu berauschend. Der Fahrtwind trocknet die Radhose wieder im Nu.
In Konstanz verschlägt es mich direkt an den Bahnhof und obwohl ein Zug in absehbarer Zeit fahren würde, bringe ich es nicht übers Herz, von der Straße auf die Schiene zu wechseln. Es ist Mittagszeit, wieder einmal zu früh für den Zug. Vielleicht noch bis Singen? Dann aber endgültig mit der Bahn nach Hause... Über den Bodanrücken halte ich auf Bodmann zu, dann Wahlwies; Singen liegt fast schon hinter mir. Was bis Freiburg noch bliebe, ist der Hegaublick bei Engen und ein bisschen Schwarzwald - der Thurner, wie schon bei der Hinfahrt. Alles in allem keine hundert Kilometer mehr. Liegt nicht allein schon aus ästhetischen Gründen nahe, mit dem Rad nach Hause zu fahren - um die Schleife zu vollenden? Die Strecke ist mir zu vertraut, um mich nicht dem Diktat der Ästhetik zu fügen, ein Diktat, das seinen Ausdruck in gleichmütigem Kurbeln findet. Die Routine des Tretens. Nichts zu machen.
Die Sonne wandert von Süden nach Westen, scheint mir während meiner letzten Auffahrt durchs Urachtal ins Gesicht. Der Schwarzwald hat mich wieder nach fast tausend Kilometern aus eigenem Vermögen. Ich habe meinem Körper einiges abverlangt, hinter mir liegt kein Wellness-Programm. Eine Fahrt durch einen zentralen Teil Europas: Deutschland - Österreich - Italien - Schweiz, in fünf Tagen. Nicht ein einziges Mal habe ich mir ein gelato in der Sonne gegönnt, fällt mir später auf, als ich danach gefragt werde. Ist das die ersehnte Freiheit, um das Wort nochmals in den Mund zu nehmen? Freiheit kenne ich, weil ich glaube, meine Grenzen zu kennen, und sie verliert sich in einer Gesellschaft, deren Mitgliedern die Grenzen abhanden kommen. Meine Freiheit, wie ich sie sehe, besteht darin, meine Grenzen auszuloten und bestenfalls - aus eigener Kraft und nicht auf Kosten anderer - ein wenig zu verschieben. Das hilft, die Dinge, wie sie sind, zu respektieren und gelassener in die Welt zu blicken. Dafür lohnt sich sogar, in Meran auf ein Eis zu verzichten.
Strecke: |
188 km |
Gesamtstrecke: 932 km |
Zeit: |
7:57 h |
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Schnitt: |
23,5 km/h |
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Höhendifferenz: |
1272 m |