Wer Freiburg kennt, weiß: es gibt einen großen Highway in Ost-West-Richtung, die neue B 31, samt Tunnel. Wer Freiburg gut kennt, weiß: es gibt deren zwei. Der zweite verläuft parallel dazu, gilt als Radweg und ist für Kraftfahrzeuge glücklicherweise gesperrt, aber – leider – für alle anderen freigegeben. Und es gibt Tage, da drängt sich dem Beobachter unwillkürlich die Vermutung auf, dass der Freiburger mit dem natürlichen Drang ausgestattet ist, sich ausschließlich von Ost nach West oder in Gegenrichtung zu bewegen: der schmale Weg quillt über mit Joggern, Skatern, Kinderwagen, Kindern, Rollstühlen, Flaneuren und – zwischen den Gruppen eingeklemmt – Radfahrern. Ungefähr so, als wären die Freitagabendstaus auf bundesdeutschen Autobahnen nicht nur mit LKWs und Wohnmobilen angereichert, sondern darüber hinaus mit unzähligen Traktoren, Zirkuswagen und Baustellenfahrzeugen. Das ist die eine Sache.
Die andere ist die: jeder hält seine Art der Fortbewegung für die eigentlich legitime und kann die anderen allenfalls dank seiner erstaunlichen Toleranz gelten lassen. So auch ich. Meine Toleranz beim Gruppenhopping ist enorm. Ich nähere mich vorsichtig zwei Müttern mit Kinderwagen (nebeneinander), raune ein Vorsicht! in die vor Mutterglück seligen Ohren, weiß natürlich, dass nichts passieren wird, und umfahre das Hindernis folglich erst, wenn es der Gegenverkehr gerade zulässt. Zwei Skater halten brav inne, als ich – angekündigt – an ihnen vorbeiziehe. Ich bedanke mich. Ein Pärchen mit Hund zeigt sich renitenter: der Hund rennt kreuz und quer auf der Fahrbahn, der Leinenzwang, so die verbreitete Ansicht, gilt immer nur für die anderen. Der Hund gehört angeleint, bemerke ich, so freundlich es nach einer Vollbremsung eben geht. Reg' dich nicht auf, ey! Okay. Ich reg’ mich nicht auf.
Nächstes Hindernis: eine Gruppe Jogger. Ich fahre auf, mein Achtung! ist nicht zu überhören, unterstützt von einem Achtung Radfahrer!!! aus der Gruppe. Eine Gasse geht auf, ich fahre vorsichtig ein, plötzlich schert vor mir einer aus, wechselt die Seite, rennt mir beinahe ins Vorderrad. Sind heute eigentlich nur Schnarchnasen unterwegs? Eine Gruppe Jugendlicher mit Ghettobluster schlurft ohne sich umzusehen aus einem Nebenweg direkt in meine Fahrspur. Ja, heute sind nur Schnarchnasen unterwegs.
Froh, dieses Spießrutenlaufen hinter mir zu haben, fahre ich den letzten Kilometer auf der quasi verkehrsfreien Straße, die zu meinem Zuhause führt. Richte mich auf, strecke den Rücken durch nach dieser Trainingsrunde, schalte runter und hole zum Bogen aus, um rechts in meine Hauseinfahrt einzubiegen. Hey, du Penner! faucht es plötzlich an meinem Ohr. Scheiße, hatte ich doch glatt übersehen, dass da noch einer hinter mir war! Ausgerechnet mir muss das passieren, der sein ganzes Leben nichts anderes wollte, als zu den Guten und Gerechten zu gehören. Im Bruchteil einer Sekunde mein ganzes Streben ein Scherbenhaufen! Aber halt – wie kommt er dazu, an meinem Hinterrad zu lutschen? Und überhaupt diese Respektlosigkeit! Hat er meinen athletischen Körper vollkommen ignoriert? Dieser Lümmel hat doch nur schamlos ausgenutzt, dass ich langsam ausrollen ließ. Und von so einem soll ich mir ans rasierte Bein pinkeln lassen? Nein, Freunde, so nicht. Seid also beruhigt: ich bleibe euch erhalten im Kreis der Guten und Gerechten!
September 2004