Clamecy - Amboise

Freitag, 17. August 2012    


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Zwangsläufig werde ich mit dem heutigen Morgen meinen Ruf als Zechpreller auffrischen. In der Rezeption ist noch kein Leben auszumachen, als ich mich mit Sack und Pack im Schritttempo von meinem Herbergsbetrieb verabschiede. Ich bin für meine Verhältnisse früh dran, auch wenn es bereits nach acht Uhr ist. Nein, niemand hier, der sich für einen kleinen Beitrag zum Erhalt dieses netten Campingplatzes intressieren würde.  So breche ich also mit ramponiertem Karma auf zur vorletzten Etappe.Frühstück in Clamecy

Zunächst stehen heute Sonnenblumenfelder auf dem Programm, im Wechsel mit Getreidefeldern. Das Land ist ebenso weitläufig wie gestern, die Sonne steigt im gleichen Bogen hoch zum Zenith. Der Nebel fehlt, die himmlischen Heizer haben statt dessen noch ein, zwei Schippen draufgelegt. Ich weiß von etlichen Kollegen aus meinem verschrobenen Umfeld, wie sehr sie sich mit der Hitze abplagen - sie hätten keine Freude am heutigen Tag. Über die Temperaturen jedoch will ich nicht klagen. Wenn es überhaupt Grund zu Beanstandungen gibt, dann bezüglich des Mangels an Brunnen in den Dörfern. Gelegentlich finde ich jedoch Friedhöfe, um meine Flaschen zu füllen. Man mag es bedauern, dass wir Menschen hin und wieder sterben. Aber man sollte nicht alles nur negativ sehen. Getreidefelder

Mein erstes Ziel für heute ist die Loire. Bei wechselnden Winden erreiche ich sie am späten Vormittag. Wäre ich etwas später dran, würde ich in Cosne-Cours-sur-Loire gerne meine Rast einlegen, irgendwo mit Blick auf den Fluss, um mich im Glanz des bisher Erreichten zu sonnen. Die Loire hat ganz ohne Zweifel ein gewisses Flair. Sie  Es muss ja Gründe geben, weshalb die Reichen früherer Zeiten ihre Residenzen gerade hier errichtet haben. Der erstaunlich frequentierte Fernradweg beschreibt einen Bogen nach Norden, um dann bei Orléans in Richtung Westen weiterzufließen. Diesen Bogen kürze ich allerdings ab, womit sich mir wieder das gewohnte Einerlei bietet. Nun, so schlimm war's die letzten Tage ja gar nicht. 

In Vailly-sur-Sauldre gerate ich mitten in den Wochenmarkt - Gelegenheit, meine Vorräte aufzufrischen. Vor der Kirche sitzen ein paar Straßenmusiker mit Dudelsack und Drehleier und spielen bretonische Volksweisen. Ganz offensichtlich bin ich meinem Ziel ein gutes Stück nähergekommen. Eine Vorfreude packt mich angesichts der Musik, des Markttreibens und der Aussicht, bald das Meer zu sehen und zu riechen. Meine Mittagspause verbringe ich im örtlichen Park auf einer schattigen Bank. 

Der Duft von Kiefern, wie ich ihn aus Südfrankreich kenne, begleitet mich von Zeit zu Zeit auf meinem weiteren Weg durch den Nachmittag: die Hitze sezt das Harz der Bäume frei. Kleine Schlösser schimmern inmitten bewaldeter Hügel hie und da in der heißen Luft - hinter ihren dicken Mauern stelle ich mir ergraute Herrschaften im edlen Gewand vor, die sich zu dieser Stunde im kühlen Salon vom Butler den Tee servieren lassen. Neid? Ich genieße es, alle Mauern für ein paar Tage hinter mir zu lassen und die Hitze des Sommers in ihrer ganzen Unerbittlichkeit am eigenen Leib zu spüren.Loire-Radweg

Die Meiler der Atomanlagen rund um Blois sind die ersten Anzeichen dafür, dass ich mich der Loire wieder nähere. Wie ein Volk, dem die Neigung zum zivilen Ungehorsam in die Wiege gelegt wurde, diese unablässige Bedrohung so klaglos hinnehmen kann, ist mir auch heute wieder ein Rätsel. Keine hundert Kilometer von hier, im Schloss Sully-sur-Loire, lebte Voltaire, der große Wegbereiter der französischen Revolution, im Exil.

Der Loire-Radweg, der sich über fast eintausend Kilometer hinzieht, ist zumindest hier eine Wonne zu befahren. Würde ich ihn ab Blois, wie geplant, benutzen, blieben mir zu meinem Schrecken allerdings noch 350 Kilometer bis Nantes - bis morgen Abend will mir das maßlos erscheinen. Also wird umdisponiert: statt mich wie die vielen anderen Radreisenden an den Radwegweisern zu orientieren, werde ich mich wohl oder übel wieder an die Straßenbeschilderung halten müssen. Auch so bleiben mir noch deutlich über 250 Kilometer: Ich haue ordentlich in die Pedale.die Loire

Amboise ist einer von etlichen sehenswerten Orten entlang des Flusslaufes. Meine Wahl als Etappenort fällt deswegen auf ihn, weil der Campingplatz direkt am Strom liegt und mir jeder Umweg als Ressourcenverschwendung erscheinen will. Außerdem reicht es mir für heute. Also checke ich ein - dieses Mal ganz regulär. Das Areal, der mir zugewiesen wird, ist gefüllt mit anderen Radwanderern - ein Bild, das man woanders nur noch selten sieht. die LoireIch bin entzückt. Mein Zeltnachbar ist in der Bretagne gestartet und plant, in vier oder fünf Tagen bis in die Vogesen zu fahren. Vom Umfang der Etappen wären wir uns ebenbürtig. Schade nur, dass er in die Gegenrichtung fährt.

AmboiseDie nächstgelegene Gaststätte ist wieder eine Pizzeria. Zur Abwechslung betelle ich einen Teller Pasta. Die Portion ist winzig und mir liegt auf der Zunge, zu bemerken, dass ich leider meine Brille vergessen habe. Das wäre allerdings gelogen - noch komme ich ohne Brille zurecht, selbst bei solch winzigen Portionen. Doch nachdem ich mich bereits heute früh moralisch fragwürdig benommen habe, will ich heute Abend nicht noch einen draufsetzen. Also halte ich meinen Mund, trinke meinen Rosé, kümmere mich liebevoll um den Hauch von Pasta in meinem Teller und bestelle in meiner Not noch einen Nachtisch. 

Auf der anderen Straßenseite fließt die Loire unter der alten Brücke hindurch, rastlos. Wann wird wohl das Wasser, das in diesem Moment vorbeifließt, unter den Brücken von Nantes durchfließen? Wie auch immer - ich für meinen Teil ziehe es vor, zunächst einmal zu schlafen.

 

Strecke:

236 km

Zeit:

9:53 h

Schnitt:

23,9 km/h

Höhendifferenz:

1040 m

 

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