ARA Breisgau: 200 Kilometer Kirchzarten, 13. April 2013
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Am 12. April 2013 wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg bekanntgegeben, in dem festgestellt wurde, dass Brevets auch weiterhin nicht genehmigungspflichtig sind, und eigentlich hätte man erwarten können, dass zur Feier des Tages noch am selben Abend betrunkene Randonneure grölend und randalierend durch Kirchzarten, dem neuen Startort der Breisgauer Randonneure, ziehen würden, ehe sie am nächsten Morgen restalkoholisiert die erste Tranche der neuen Brevetserie mit ihren Rädern in Angriff nehmen und tsunamigleich eine Schneise der Verwüstung im Breisgau hinterlassen würden. Nichts dergleichen jedoch geschah. Ihre Disziplin scheint - entgegen allen Unkenrufen aus Behördenkreisen - hervorragend zu sein. Es sieht so aus, als hätten sie im Großen und Ganzen eine anständige Erziehung genossen. Vielleicht sind sie augenblicklich auch nur etwas geschwächt oder unterkühlt - als Folge des harten Winters.
Für manche ist es ja bereits ausgemachte Sache, dass die Nordatlantikdrift, also jener Golfstrom, der unser Klima in Mitteleuropa mit seiner Warmwasserzufuhr erträglich macht, im Zuge des nahenden Klimawandels seinen Betrieb einstellt. Dann hätten wir in der Tendenz wohl so ein Wetter, wie wir es in diesem Jahr bis zum 13. April hatten - mit nimmer enden wollenden Klagen. Unsereiner würde im Falle eines Eintretens eines solchen Szenarios - insofern er sich nicht gleich kälteresistente Knieimplantate einbauen lässt - nur noch mit Beinlingen gesichtet. Eine schlimme Vorstellung, die noch gesteigert wird durch die Sorge, dass darunter in aller Heimlichkeit üppiges Beinhaar sprießen könnte. Ist mir auch schon passiert.
Golfstrom hin oder her - jedenfalls gab es nicht viele Brevets im Breisgau, wo die Radfahrer am Start derart verpackt waren, wie an diesem Samstag Mitte April: Winterjacken, Winterhandschuhe, Winterhosen. Von einzelnen sieht man nur die Nasenspitze. Wäre dies noch vor einer Woche der Fall gewesen, hätte man mutmaßen können, dass sie sich auf einer verbotenen Veranstaltung befinden und dem Vermummungsverbot trotzen. Aber dank der neuen Rechtslage sind heute auch gegen dieses Verhalten keine Polizeimaßnahmen zu erwarten. Ich atme tief durch. Frische Winterluft strömt in die Lungen.
Meinen Plan, mit den Letzten zu starten, halte ich ein. Mit einer gewissen Wehmut sehe ich die ersten beiden Gruppen vor mir entfleuchen. Nach einer halbjährigen Brevetabstinenz fällt es umso schwerer, Geduld zu bewahren, was sich auch darin äußert, dass ich nach dem Start in der letzten Gruppe die Strecke recht zügig angehe. Schon am Ortsrand von Kirchzarten, nach wenigen Minuten, bin ich alleine unterwegs. Die Beine suchen ihren eigenen Rhythmus.
Ich schiebe mich durchs Ibental, wundere mich, dass niemand von hinten aufschließt. In aller Einsamkeit streift mein Blick nach dem ersten Anstieg beim Talschluss über die Klosteranlagen von St. Peter. Unter dem grauen Himmel tauchen zwanzig Minuten später die beiden Kirchtürme von St. Märgen vor mir auf. Eine gottgefällige Gegend. Nur leider zu kalt. Die Straßen oberhalb St. Märgens sind eingefasst von Schneewänden. Hier und dort begegnen mir Restbestände der anderen Startgruppen. Vor der Abfahrt ins Hexenloch steht ein halbes Dutzend Radfahrer am Straßenrand und streift sich die Jacken über. Ich verzichte auf diese Art von Komfort und hoffe, ein paar Minuten gutzumachen, um den einen oder anderen Mitstreiter zu finden, mit dem ich gemeinsame Sache machen könnte.
Im Wildgutachtal herrschen frostige Temperaturen. Das schmale Sträßchen entlang der Felswände wird begleitet von brausendem Schmelzwasser. Ein Stück lieblichen Golfstroms statt dessen täte der Idylle des Tales in meinen Augen keinerlei Abbruch. Wann nur kommt endlich der Frühling? Ich habe die Kälte satt. Aber wir wollen weiß Gott nicht jammern, nun, da wir unsere große Randonneursfreiheit zurückerobert haben.
Die große Randonneursfreiheit besteht in den Entfernungen, die wir mit unseren einfachen Mitteln zurücklegen. Ist der Schwarzwald noch kalt und unwirtlich, liegt der Winter bereits in Freiamt in seinen letzten Zügen. Noch fahre ich mit langen Handschuhen. In Wyhl, an der zweiten Kontrolle, stecke ich sie in die Trikottaschen. Und mit einem Mal, als sich unsere kleine Gruppe, die sich nach Whyl endlich doch noch gebildet hat, durch den Kaiserstuhl schlängelt, reißt der Himmel auf. Die blauen Flecken über uns nehmen zu, die Sonne bricht plötzlich durch. Wir haben den Winter hinter uns gelassen und rauschen schnurstracke in den Frühling!
Es ist alles andere als ein einfaches Hinübergleiten in die zweite Jahreszeit. Der Wind bläst jedem, der sich auf diesem Flachstück nach Süden aus unserer Fünfergruppe nach vorn wagt, aufs Heftigste ins Gesicht. Aber kennen wir so etwas in diesem Jahr nicht bereits zur Genüge? Haben wir nicht mit eiserner Gelassenheit den klimatischen Anfeindungen getrotzt? Oder gar den behördlichen Widerständen?
Ein Randonneur hält durch. Er tut, was zu tun ist - das ist er seiner guten Erziehung schuldig. Irgendwann kommt der Wind wieder von hinten, irgendwann ist die Eiszeit vorbei. Irgendwann verstummen die Einwände aus den Amtsstuben. Sollte sich jedoch die Prognose vom Versiegen des Golfstromes bewahrheiten, dann, so steht zu befürchten, werde auch ich einknicken und mein Beinhaar ungezügelt sprießen lassen - der Wärme wegen.
Strecke: |
201 km |
Höhendifferenz: |
2100 hm |
Gesamtzeit |
8:01 h |